Andacht für Sonntag Kantate (05.05.2020)

8. May 2020

Verfasst von Pastorin Bettina Bartke

Der Anfangsvers des diesem Sonntag zugeordneten Psalms gibt den Ton an, auf den dieser Sonntag gestimmt sein soll: Kantate: „singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“

Schon im Alten Israel gehörten die gesungenen und gesprochenen Psalmen in der Gemeinschaft zur Äußerung des Glaubens dazu. Bis heute hilft uns der gemeinsame Gesang, uns unserer religiösen Gruppenidentität zu vergewissern. Aber auch wenn wir alleine sind, kann uns ein Lied helfen, Gefühle auszudrücken. Denn Singen ist ein Geschehen mit einer großen Wirkung , das über unsere Leiblichkeit hinaus weist und ganze Räume erfüllen kann. Meistens nutzen wir dazu Worte, die wir schon lange kennen, die wir nicht erst erfinden müssen und auf die wir dann einfach zurückgreifen. Worte, die wir uns ausleihen, weil sie Erfahrungen widerspiegeln, in die wir uns einklinken.

Vom Himmel aber fällt unser Gesang nicht. Wie ein Handwerk, das erlernt werden muss, wollen auch Lieder und Gebete eingeübt werden, um sie dann für jenen Dienst abrufen zu können, den sie für unsere Seele dann auch erfüllen.

Jesus muss von seinen Eltern von Anfang an in diese Tradition mit hineingenommen worden sein. Zwar ist uns nur der Gesang seiner Mutter Maria überliefert, der ihr in der Schwangerschaft aus Freude auf ihren Sohn über die Lippen gekommen darf, und doch weist ja gerade er darauf hin, dass sie ihren Gefühlen in dem Moment im wahrsten Sinne des Wortes „ Luft machen muss.“

Später pilgert die Familie mit dem 12jährigen Sohn zum Passahfest von Nazareth nach Jerusalem. Und auch da werden Psalmen in der Synagoge gesungen worden sein.

Letztlich wird selbst der Einzug Jesu in Jerusalem mit Gesang der Menge begleitet, seinen Geist mit einem Psalm auf den Lippen zurückgibt in Gottes Hand.

Später ist es Paulus, der die christliche Gemeinde im Brief an die Epheser und Kolosser daran erinnert, dass der Gesang uns mit dem Himmel verbinden kann, wenn er schreibt: „Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade.“

Im 7.Jhd waren es die Papst Greogor zugeschriebenen sogenannten gregorianischen Gesänge, die bis heute dadurch motiviert sind, das Wort Gottes zu memorieren, damit es sich mit seiner Kraft in Kehle und Körper ausbreitet und schließlich mit seinem Nachklang den ganzen Raum erfüllt.

Auch Paulus und Silas machen davon Gebrauch, und einer diesem Sonntag Kantate zugeordnete Text aus Apg 16 macht das deutlich.

23 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. 24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. 25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. 26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. 27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offenstehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! 29 Der aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 30 Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! 32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen 34 und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war

Diese Geschichte ereignet sich in der griechischen Stadt Philippi, in der Paulus und Silas erstmals auf europäischen Boden unterwegs sind. Dort treffen sie auf eine Frau, die schließlich zum Glauben kommt und ihre Tätigkeit als Wahrsagerin deshalb aufgibt. Da ihr nun aber die Kunden ausbleiben, werden Paulus und Silas von ihrem Besitzer inhaftiert. Der Kerkermeister befolgt den Befehl und wirft sie ins tiefste Verließ. In der Nacht aber wird er durch etwas Ungewöhnliches aus dem Schlaf gerissen: Anstatt Stöhnen, Fluchen oder Schnarchen der Gefangenen erheben sich Gebete und Gesänge über die elende Situation.

So wird es seit der Coronakrise auch bei uns gewesen sein: Einige, denen durch die damit verbundenen Beschränkungen die Hände gebunden sind, werden in den letzten Wochen viel Zeit zum Singen und Beten gehabt haben, während andere in systemrelevanten Berufen ihrem Tagesrhythmus von Arbeiten und Ruhen nachgekommen sind.

Einige werden geschlafen haben, andere werden die Fesseln, mit denen das Virus unser Leben einschränkt, am Schlaf gehindert haben.

Und sicher werden sich nicht wenige von uns in einer solchen schlaflosen Nacht dann ebenfalls selbst entängstigt haben ohne groß Nachdenken zu müssen: mit einem Gebet, das wir kennen, das uns von Jugend auf einverleibt ist. Sei es das Vaterunser, sei es der Text eines Liedes oder aber ein Psalm, der uns seit langem begleitet, weil uns die Kraft seiner Bilder schon immer angesprochen hat.

Tröstliche Worte, die wir der Erziehung unserer Eltern, Großeltern oder aber auch Kirche und Schule verdanken, weil wir durch sie die Wiederholung von Liedern, Gebeten und Segensgesten regelmäßig praktiziert haben: Das Gebet zur Nacht, oder auch den Segen vor dem Schulweg , auf dem Weg in den OP , vor einer Reise oder über dem gebackenen Brot. Gesten, die bis heute über sich und den eigenen Raum hinausweisen und unsere Füße auf weiten Raum stellen, obwohl wir immer noch mit Kontaktverboten konfrontiert sind.

Was Paulus und Silas genau gesungen haben, wissen wir nicht. Inhaltlich aber könnte es einem Kinderlied von Peter Janssen aus den 80ger Jahren geglichen haben , in dem es heißt: „Segne uns mit der Weite des Himmels, segne uns mit der Wärme der Sonne, segne uns mit der Liebe der Eltern, segne uns mit den Geschichten der Alten, himmlischer Vater, segne uns“

Und dann bebt die Erde, und die Gefangenen können das Gefängnis durch offene Türen verlassen. So richtig frei wird vor allem der Kerkermeister. Auch er hatte ja eigentlich nur seinen Beruf ausgeübt, das, was er gelernt hat, das, was sich für ihn täglich wiederholt. Doch als er in seinem Dienst versagt, sieht er keine Lebensperspektive mehr. Sein Job steht auf dem Spiel. Er ist am Ende.

Auch vielen heutigen Menschen geht es so, weil sie ihrem Handwerk durch die Krise trotz Lockerungen dennoch nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen können. Und wie viele von diesen in ihrer Existenz Betroffenen werden von Verzweiflung übermannt worden sein und sich nach jenem Ausweg sehnen, dem der Kerkermeister jetzt eröffnet wird. Denn die anderen, die nicht fliehen und ihn nicht verurteilen, nehmen ihn nun ihrerseits mit hinein in die Tradition ihres Glaubens. Den Glauben an den, der trotz enger Grenzen freimachen kann. Und genau das passiert: Der Kerkermeister ist jetzt so frei und wäscht und verbindet Wunden. Er ist so frei und pflegt und bewirtet. Und dann lässt er sich mit seiner Familie taufen.

Paulus und Silas lehren ihn Gesten, Worte und Rituale, mit denen er sein Leben seiner Lebenskrise zum Trotz neu ausrichten kann.

Singen wir jenen ein Lied, die uns in diese Glaubensschule einst mithineingenommen haben. Inzwischen aber haben sich auch neuere Liedertexte in diese Tradi


1.Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich.

2.Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich.

3.Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit
bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme, Herr, erbarme dich.

4.Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit
bringe ich vor dich.
Wandel sie in Heimat, Herr, erbarme dich. 

( HuT 163, Eugen Eckert 1981)

Amen


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