Rogate 2020, Joh 16

15. May 2020

Beten ist eine Grundgeste jeden Glaubens.

Es ist die Pflege der Beziehung zu Gott als einem persönlichen und doch transzendenten Vater, dem wir uns zuwenden.

Meistens nehmen wir diese Beziehung in Anspruch, wenn uns das Herz so voll ist von Klage oder Bitte, aber auch Dank und Lob, dass „uns der Mund übergeht“.

Während Traditionen wie das klassische Tisch- oder Gutenachtgebet zwar verblassen, wird es kaum jemanden geben, der das Stoßgebet vor der Prüfung, das Bittgebet vor der Operation, die stumme Klage während der Nachrichten und das dankbare Ausatmen nach einer überstandenen Gefahr nicht kennt.

In den letzten Monaten werden uns gerade die Stoßgebete wie Pfeile aus dem Mund geschossen sein, weil wir den vielen mit den Informationen über die Corona-Krise verbundenen Sorgen in unserem Kopf Luft machen mussten. Kurz und knapp und nicht stilistisch durchdacht, dafür aber mit einer ungeahnten Intensität.

Die von Matthäus und Lukas überlieferten Worte des Vaterunsers, mit denen Jesus seine Botschaft für uns auf einzigartige Weise zusammenfasst, werden in diesen Tagen ebenfalls an Bedeutung gewonnen haben.

Dennoch hätte dieses Gebet für uns keinen besonderen Stellenwert, wenn wir uns mit diesen Worten nicht auf den Auferstandene berufen würden.

Während wir von Ostern herkommen und darauf vertrauen, dass das neue Leben auch für uns den Sieg davontragen wird, und weil wir Gott deshalb daran erinnern dürfen, dass „sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“, können die Jünger die Brücke, die Jesus ihnen zu dieser neuen Wirklichkeit schlagen will, noch nicht verstehen. Sie befinden sich noch vor dem Abschied und haben gerade schweren Herzens realisiert, dass das Leben mit Jesus auf dieser Erde seinem Ende nah ist.

Wir hingegen dürfen durch die Taufe wissen, dass unser endgültige Tod auch für uns schon tot ist. Auch wenn unsere Persönlichkeit in ihrer leiblich-seelischen Einheit eines Tages ihr Ende finden wird, so ist uns versprochen, dass unser persönliches, endliches Leben an Gottes ewiger Gegenwart anteilhaben und dadurch gerettet werden wird.

Wir haben also nicht nur Anteil an seinem Tod, sondern auch an seiner Ewigkeit in Herrlichkeit. Und das haben wir im Hinterkopf, wenn wir stammeln, seufzen, klagen, schreien, aber auch danken und lobsingen.

So lesen wir in den Abschiedsreden Jesu beim Evangelisten Johannes: In seinem 16.Kapitel

Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.

24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.

25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.

26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde;

27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.

28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.

29 Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild.

30 Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.

31 Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?

32 Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.

33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Jesus sagt: Ihr werdet bitten in meinem Namen.

Positiv formuliert bietet er uns an, dass wir uns mit unserem Gebet in sein Gebet einfach mit einklinken. Man könnte auch sagen: dass wir eins werden mit ihm, dass wir seinen Geist atmen, so, wie es Menschen üben, wenn sie das Herzensgebet praktizieren.

Während Johannes für Menschen schreibt, die als junge Christen gerade an der Schwelle einer äußerst bedrohlichen Zukunft stehen, haben auch wir durch die Coronakrise einen Teil unserer bisherigen Sicherheiten begraben müssen. Dass wir verletzbar und sterblich sind und dass uns nicht in jedem Fall eine wirksame Medizin zur Verfügung steht, ist uns ebenso bewusst geworden wie die Grenzen der scheinbar unendlichen Reise- und Bewegungsfreiheit, des unaufhörlichen Wirtschaftswachstums und der ständigen Selbstoptimierung.

Wir haben aber auch gelernt, dass die angstauslösende Enge nicht alles ist. Denn gerade in der für viele existentiellen Bedrängnis haben wir uns erinnert an Zusagen Jesu wie :seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Eine Gewissheit, die mit Sein zu tun hat, nicht mit Haben oder Tun! Eine Gewissheit die uns daran erinnert, dass Gott uns durch Jesus Christus gezeigt hat, dass wir sein dürfen, was wir durch ihn schon längst sind: Schwester und Brüder Jesu Christi unseres Herrn.

Als Christen haben wir einen Fürsprecher und dürfen unter Berufung auf ihn in seinem Namen beten. Wir beten also nicht auf eigene Faust, nicht auf eigenes Risiko, sondern im Namen dessen, der die Versicherung für uns schon gezahlt hat.

Denken wir an die Jünger im Boot und wie sie ihrer Angst durch den Schrei der Verzweiflung Luft machen: Herr hilf, wir kommen um! Auch aus ihnen schießt diese Bitte wie ein Stoßgebet spontan und heftig heraus und doch auf dem Hintergrund eines Vertrauens, das wegen der äußeren Umstände aber ganz klein geworden war.

Warum sonst fragt Jesus: was seid Ihr so furchtsam, Ihr Kleingläubigen?

Auch der Liederdichter und Theologe Paul Gerhard, der zwar nicht dem Corona Virus, aber der Pest und damit ständiger Ansteckungsgefahr und Sterblichkeit der eigenen Familie ausgesetzt war und vier seiner fünf Kinder kurz nach der Geburt zu Grabe tragen musste, hätte nie so dichten und beten können, wenn nicht in Jesu Namen. So aber kann er den Gefahren und der Angst und den Aschieden im Leben trotzen und sich selber ermutigen mit dem Vers:

Ich hang und bleib auch hangen, an Christus als ein Glied.
Wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit.
Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd‘, durch Not,
er reißet durch die Höll‘, ich bin stets sein Gesell. 

( EG 112 auf auf mein Herz mit Freuden) 

Amen

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