Andacht zum 2. Sonntag nach Ostern Misericordias domini (23.04.2020)

24. April 2020

Verfasst von Pastorin Bettina Bartke

Jeder von uns kennt den 23. Psalm. Das Gebet von Gott, der uns wie ein guter Hirte auf einer grünen Aue weidet, zum frischen Wasser und durchs finstere Tal führt, um dann zu bleiben im Hause des Herr immerdar.

Seit jeher hat diese Vorstellung den Menschen in bittersten Notlagen Halt und Trost gestiftet.

Im Neuen Testament wird diese traditionelle Vorstellung auf Jesus Christus übertragen.

So heißt es im Evangelium des kommenden Sonntags bei Johannes im 10. Kapitel


Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden

 27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann es aus des Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins.( Joh 10,11-30)


Die damaligen Hörer, die vornehmlich aus einem landwirtschaftlichen Umfeld stammten, haben diesen Vergleich sofort verstanden: Jesus, der nicht gemietet ist und damit keinem bezahlten Job nachgeht, sondern der sich mit denen, die seinem Schutz anvertraut sind, vollständig identifiziert und sich um sie kümmert über den Tod hinaus.

Heutzutage ist das Bild vom Hirten und seinen Schafen allerdings schwieriger.

Nicht nur, weil uns Hirten und Schafherden kaum noch begegnen, sondern auch, weil das Verhalten eines Schafes für uns immer auch etwas Dummes repräsentiert.

Kinder hingegen sind von Schafen begeistert. Denn Schafe sind nicht aggressiv und bedienen das Bedürfnis, Geborgenheit zu schenken und Geborgenheit anzunehmen, so, wie es jeder von uns als Mädchen oder Junge durch die Eltern hat erfahren dürfen: Trost und Umarmung, frisch gekochtes Mittagessen, eingelassenes Badewasser, ein Dach über dem Kopf als Schutz vor Gefahr, Kälte und Dunkelheit.

Den Wolf haben wir erst kennengelernt, als wir selbständiger wurden: als wir uns nicht an Verabredungen gehalten haben, zu spät nach Hause kamen, oder stundenlange nicht erreichbar waren. Danach die ärgerliche Auseinandersetzung mit den enttäuschten Eltern, Türenknallen , selbstgewählte Isolation von Pubertierenden im Zimmer, Tränen in den Augen und doch warm und geborgen auf dem eigenen Bett.

All das ist verbunden mit der Vorstellung vom guten Hirten. All das ist verbunden mit der Zeit unserer Kindheit, in der gute Eltern die Verantwortung für uns übernahmen, für uns entschieden und für uns einstanden.

Jetzt aber sind wir längst erwachsen. Wir möchten und müssen unsere Wege selber bestimmen, wir möchten und müssen Entscheidungen selber verantworten.

Alleine in Sekten können wir vermeintliche Hirten finden, die auf blinde, uneigenständige und damit dumme Nachfolge bauen, indem sie meinen, vorgeben zu können, was gut oder nicht gut für uns sei.

Zur Nachfolge Jesu aber gehört ein eigenständiges Denken und zwar in der jeweilig konkreten Situation mit allen Vor- und Nachteilen, und in dem Bewusstsein, dass jede Entscheidung damit auch immer relativ ist und nicht allgemeingültig absolut gesetzt werden kann.

Und Jesus, der Hirte, ist ja auch nicht mehr da. Nachdem er sein Leben gelassen hat, ist er auferstanden, nach weiteren 40 Tagen aber aufgefahren in den Himmel.

Dafür aber hat er uns den Heiligen Geist geschickt und unsere Füße auf weiten Raum gestellt.

Man könnte auch sagen: der gute Hirte hat uns in die Verantwortung entlassen, damit wir die Freiheit haben, mit unserem Leben und mit unseren Entscheidungen immer wieder neu auf seine Liebe zu uns zu antworten. Nicht, um uns durch gute Taten das ewige Leben zu verdienen, sondern, um durch sein liebevolles Interesse

an uns gar nicht anders zu können. Um das Herz so voll zu haben, dass wir abgeben können, ohne selber dabei leer zu werden.

Martin Luther schreibt dazu: „Das Hauptstück und der Grund des Evangeliums ist, dass du Christus, ehe du ihn zum Vorbild nimmst, zuvor entgegennehmest und erkennest als eine Gabe und ein Geschenk, das dir von Gott gegeben und dein eigen sei. Sieh, wenn du auf solche Weise Christus annimmst als Gabe, dir zu eigen gegeben, und nicht daran zweifelst, so bist du ein Christ. Dieser Glaube erlöst dich von Sünde, Tod und Hölle und macht, dass du alle Dinge überwindest.“

Da wir von dieser Erkenntnis aber nicht immer gleich stark überzeugt sind, ist es hilfreich, regelmäßig innezuhalten und sich an dieses Vorbild zu erinnern.

Nicht umsonst mahnt der Autor des 2.Tim briefes: „ Halt im Gedächtnis Jesus Christ“, (Tim 2,8) und animiert nicht nur Johann Sebastian Bach zu seiner gleichnamigen Kantate.

Halt im Gedächtnis Jesus Christ, durch den Gott uns bewiesen hat, dass wir auch im finsteren und steinigen Tal auf ein gutes Ende hoffen dürfen

Halt im Gedächtnis Jesus Christ und memoriere seine Zusage, dass wir zu ihm gehören und dass uns nichts aus seiner Hand reißen kann, selbst wenn das Virus wie eine Horde böser Wölfe durch die Welt jagt und uns momentan in alle Richtungen zerstreut.

Auch wenn wir noch länger keine gemeinsamen Gottesdienste feiern können, auch wenn wir weiterhin darauf verzichten müssen, uns durch das Heilige Abendmahl stärken zu können, so ist doch das Versprechen Jesu unabhängig davon: „Siehe ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.“

Diese Zusage zusammen mit anderen biblischen Geschichten von Rettung und Wundern können wir unabhängig von Symbolen und Ritualen im Gedächtnis behalten. Damit erweist uns Gott seinen Dienst auch jenseits eines traditionellen Gottesdienstes und auch in der sozialen Zerstreuung.

Diese Ermutigungen sind es, die uns frei machen, auch die Ansagen Jesu für uns umzusetzen, so, wie es jedem von uns trotz Einschränkungen jetzt gerade in den Sinn kommt. Es ist uns unbenommen, dem anderen im Telefonat erkennen zu lassen, wes Geistes Kind wir sind, auch dann, wenn es Differenzen gibt, und auch dann, oder gerade dann, wenn wir um Entschuldigung bitten und uns immer wieder neu vertragen müssen.

Denn auch dazu hat uns Christus befreit.

Und dann gibt es plötzlich ganz viele Hirten unter uns: Menschen, die Verantwortung übernehmen für die, die ihnen im Laufe ihres Lebens durch Familie, Freundschaft, Beruf, und als Nächste anvertraut werden, und damit auf Gottes Liebe zu uns zu antworten versuchen.

Das Bild von einer irrenden Herde mit unselbständigen Schafen, nicht selber nachdenken können, irritiert.

Die Vorstellung von vielen verantwortungsbewussten und selbständigen Hirten aber, die zwar nicht immer derselben Meinung sind und sich doch an ein und demselben Vorbild orientieren, ist ein Bild, das uns sicher alle anspricht.

Jesus ist dabei unser Vorbild. Er ist der Hirte, der sein Leben lässt für die Schafe. Gleichzeitig aber hat er Gott in seinen Abschiedsreden darum gebeten, dass wir miteinander und mit ihm eins seien.

Seien wir Hirten in seinem Namen und füreinander und singen wir mit EG 405

Halt im Gedächtnis Jesus Christ,

o Mensch, der auf die Erden

vom Thron des Himmels kommen ist,

dein Bruder da zu werden;

vergiss nicht, dass er dir zugut

hat angenommen Fleisch und Blut,

dank ihm für diese Liebe!

Amen

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